26. April 2012 bis 26. Mai 2012

Paul, Norman and Eloise: Vegetables on a boat (Storytellers I)

a show about artists as storytellers
Marc Elsener, Irene Bisang, Vanessa Billy, Paul Lipp, Pascale & Arienne Birchler, Martina Birrer & Martina Lussi, Fabian Chiquet

Ein Essay über diese Ausstellung

Wann werden Worte zu Geschichten? Der kleinste Bestandteil eines Wortes ist der Buchstabe – einfach, könnte man meinen, doch ist nicht diese simple Feststellung bereits eine Anforderung?

Ich beginne dort, wo alles begann: In der Nacht, im Tiefschlaf. Der Titel dieser Ausstellung ist aus meinem persönlichen Buch der Träume. Schon immer träumte ich in Farbe und in absurdem Ausmass, das was das Unterbewusstsein mit den Lebens-Abenteuern anrichtet! Paul, Norman und Eloise sind wahre Freunde meines wirklichen Lebens und ja, ich träumte von ihnen als Gemüsesorten, als Aubergine, Karotte und Zucchetti, die sich als Piraten auf hoher See vergnügten.

Könnte man Tote wiederauferstehen lassen, gäbe es einige Abendessen für welche ich endlose Gästelisten zusammenstellen könnte. Was würde die britische Künstlerin Spartacus Chetwynd mit William S. Borroughs besprechen? Yves Klein würde sich wahrscheinlich über die Farben des Meeres mit Earnest Hemingway streiten und Tolstoi könnte mit vom Rotwein erblauten Lippen Robert Franks Realismus verhandeln.

Die Beschäftigung mit Literatur und das Entdecken und Neu-Entdecken alter und neuer Erzählungen haben sich irgendwann mit meinen Recherchen im Bereich der zeitgenössischen Kunst zu verflechten begonnen: inhaltlich, in Bezug auf Referenzen, sowie formal, wenn etwa einzelne Materialien symbolischen Charakter erhalten oder in ihrer blossen Beschaffenheit auf etwas anderes verweisen.

Es geht mir bei dieser Betrachtungsweise um das Einnehmen einer bestimmten Haltung, um die Suche nach Versatzstücken von Geschichten. Die Perspektive auf ein Werk kann sich dadurch verändern. Aus einem simplen Stein, der Teil eines Arte Povera Werkes sein könnte, wird so eine Fabel im Raum.
Als Betrachterinnen können wir uns die Freiheit nehmen, Werke künstlerisch-subjektiv in ihrer Deutung leicht zu ver- schieben oder schlicht anders zu interpretieren. Es geht nicht darum, bestehendes Wissen über ein Werk ausser Acht zu lassen, sondern vielmehr darum eine zusätzliche Perspektive zu eröffnen. In dieser Ausstellung gehen wir mit neun Kunstschaffenden auf Reisen: In ihrer eigenen Sprache entführen sie in ihre eigene Welt - wir wiederum „lesen“ und „überlesen“ neu oder anders und überführen sie mithilfe unserer Imagination in die eigene. Fragmentarisch, selten linear, manchmal persönlich erzählen die Werke dieser Kunstschaffenden Geschichten: Kurze Sagen oder gewaltige Epen.

Pascale & Arienne Birchler


Die beiden Mädchen horchen, die Arme und den Kopf auf der Tischplatte, der Boden unter ihren Füssen glänzend gekachelt. Die Momentaufnahme eines unbestimmbaren Gefühls? Man ertappt sich, ihre Finger berühren zu wollen – eine beschützende Geste scheint angebracht. Die Künstlerinnen arbeiten mit handwerklicher Präzision an ihren Instal- lationen, Objekten, Videos und Zeichnungen. Ihren, oftmals an Videostills erinnernden, installativen Arbeiten haftet die Aura eines Rätsels an - lüchtig und trotz der zarten Farbigkeit, dunkel.

Irene Bisang


Ein grüner Frosch der nicht grüner sein könnte, klein und frech sitzt er auf etwas phallisch ausgeformtem Grünem. Eine weisshaarige Figur in Bewegung, die wohl so manch Unbedarften in eine Nebenwelt verbannte.
In ihrer eigenen Bildsprache, die technisch zwischen meisterlicher Virtuosität und lässiger Skizzenhaftigkeit changiert, entwirft die Künstlerin eine, nicht nur in ihrer Farbigkeit, charakteristische Bildwelt. Einige Figuren und Gegenstände sind ausgesprochen detailliert entworfen, wobei sich andere durch ihre Auslassungen der vollumfänglichen Wahrneh- mung entziehen. Die abgebildeten Handlungen und Stimmungen vermögen zu irritieren; Woher diese alle kommen mögen?

MARS


Im Garten finden wir eine kreisrunde, dünne Plattform aus Beton, in ihr eingelassen eine rosa Bank, ein junger Baum und eine Lichtquelle. Durch die reduzierte formale Sprache und die Setzung im Garten verfügt dieses Setting über Modellcharakter. Ein Modell für ein Spiel-Experiment? Eine Bühne für eine einsame Sängerin? Die Installation funktio- niert als Bild sowie als singuläres Element in der Erweiterung mit derer sich MARS seit einiger Zeit befassen. Mit ihren leisen Aktionen, die Einladungen die im Domino-Verfahren weitergegeben werden erlauben nur einen einzigen Gast, eröffnen Erlebnisräume im öffentlichen und halböffentlichen Raum. Auf diese Art wird ein weites Netz an gemeinsamen Erinnerungen gespannt und teilweise weitergegeben. So subjektiv das Erlebte empfunden wird, so mannigfaltig sind die dadurch entstandenen Geschichten.

Vanessa Billy


Ein Eisenrohr, das sich aus der Wand herauszubewegen scheint und unten in eine weiche Ummantelung mündet. Ein Tuch aus Frottée bildet den Anfang oder Anschluss zur Wand und wirkt in seiner Unscheinbarkeit fast spektaku- lär. In ihren Collagen, Skulpturen und Installationen bilden immer wieder gefundene Objekte die Ausgangslage. Sie setzt unterschiedliche Elemente und Materialien so zueinander in Beziehung, dass wir als Betrachterinnen in unse- rem Referenzkosmos hin- und herwandeln müssen. „Broken Fountain“ verweist unter anderem auf Bruce Naumans ironisierendes Werk „The artist as a fountain“. Lässt man diese klare Referenz ausser Acht und betrachtet schlicht das Zusammenspiel der Oberflächen, die merkwürdige Reibung des Stoffes auf der Wand, das Anschmiegen des Tonhügels an den Boden, dann wird klar, dass diese Organisationsprinzipien, so reduziert sie formal sind, einiges an narrativem Potential beherbergen.

Marc Elsener

Älpler, Heilige, verrückte und verzückte Eichhörnchen schlagen sich?, fressen und beten im Schnee, im Wald oder auf hoher See. Ob „Hochrangige Schutzgottheiten“ oder „Beard Charmer“, das Repertoire verschiedener Figuren und Motive erinnert an Hieronymus Bosch oder an Pieter Brueghel. Sie alle kämpfen um Macht und Zuneigung, um ihr Auto oder um den Weltfrieden. Angesichts dieser Vielfalt an Märchen und Schauergeschichten mit Bezug zur realen, globalisierten Welt, die der Künstler in einer unverfrorenen Mischung aus Appenzeller Bauern- oder indischer Tempelmalerei und Art Brut auf die meist kleinformatigen Leinwände schmettert, könnte schwindlig werden. Dort wo an der vermeintlichen Idylle gekratzt wird, tut es weh, aber ebenso wenig wie man das Schielen auf den Blutstropfen, wenn man sich in den Finger schneidet, vermeiden kann, sucht und findet man Leid und Freude mit und ohne lange Bärte.

Paul Lipp

Eine Farbfläche in Kegelform, die in schillerndem Pink aus dem Bild heraus marschiert. Wolkige Farbflächen, die in getönte Strudel übergehen und daraus aufsteigend die klaren Umrisse einer Hand in Bewegung. Diese Überschnei- dung von konkreten und abstrakten Motiven zieht sich durch das gesamte Werk von Paul Lipp. In vielen seiner grossformatigen Arbeiten weckt der Künstler Erinnerungen an Menschen oder Charaktere, die einem selber vielleicht schon einmal begegnet sind. Unzählige lasierende und deckende Farbschichten vermitteln, trotz ihrem flächigen Auftrag, Bildtiefe. Die Verdichtung findet sich nicht nur technisch, durch die Überlagerung des Farbauftrags, sondern auch durch die jeweilige Reduktion auf ein bestimmtes Motiv.

Fabian Chiquet


Zusammen mit Elia Rediger gründet Fabian Chiquet für einen Abend eine Band: Wir als Publikum dürfen dabei vom Stil über die Attitüde fast alles wünschen. Nach einer Kürzest-Probezeit wird performt, was die Wände zu halten vermögen. Fabian Chiquet ist visueller Künstler und Performer, Mitglied der Pop-Band „The bianca Story“ und interes- siert sich für die Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Medien. Er bricht mit den gängigen Vorstellungen von popkulturellen Phänomenen und verknüpft gekonnt Disco-Trash mit melancholisch-düsteren Elementen.